Viele Ideen für Vereinbarkeit – aber keine Zeit im Alltagsgeschäft?

Wenn im Alltag kaum Zeit bleibt, um neue Ideen zur besseren Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf in einem Unternehmen oder einer Behörde umzusetzen, dann können engagierte Studierende gute Impulse geben und umsetzen. Möglich ist dies, weil Christa Beermann als Leiterin der Kampagne arbeiten, pflegen, leben 2019 eine Kooperation mit der Hochschule für Gesundheit in Bochum eingegangen ist. Die Kooperation funktioniert, weil beide Seiten profitieren: Die Studierenden gewinnen neue Erkenntnisse und machen Erfahrungen in der Praxis, die Unternehmen werden bei der Umsetzung guter Ideen unterstützt.

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Anfragen sind ab sofort möglich.

Praxisbeispiele und Grundlagen der Kooperation

29 Unternehmen haben dieses Angebot bereits in Anspruch genommen – mit ganz unterschiedlichen Anliegen. So haben Studierende zum Beispiel für AHE, ein Unternehmen der Entsorgungsbranche in Wetter, einen doppelseitig beschriebenen Flyer entwickelt, der darstellt, welche Möglichkeiten die Mitarbeitenden für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf haben. Darin enthalten ist unter anderem eine Liste der kommunalen Pflegeberatungsstellen in der Umgebung und Informationen zu gesetzlich geregelten Freistellungs- und Fördermöglichkeiten, die sie in Anspruch nehmen können. Zusätzlich haben sie die Pflegelots*innen im Betrieb noch einmal bekannt gemacht, die ansprechbar sind für alle Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, und auch aufgezeigt, wie wichtig es ist, auf die eigene Gesundheit zu achten und was man dazu tun kann.

Fazit der Personalreferentin Laura Bamberger: „Mit den beiden Flyern haben wir ein Angebot entwickelt, das wir im Tagesgeschäft nicht hätten leisten können.“ Die Flyer sind leicht zugänglich, liegen in Fahrerräumen aus oder in den Aufenthaltsräumen. Wer sich informieren will, kann dies so niedrigschwellig tun.

Niedrigschwellig ist auch der Zugang zur Kooperation für die teilnehmenden Unternehmen und Behörden: Sie benennen jeweils eine Ansprechperson und schildern ihre Projektideen.

Zu Beginn eines Semesters werden diese Ideen den Studierenden präsentiert, sie entscheiden sich für ein Projekt und nehmen dann Kontakt zu den Unternehmen auf.

Im besten Fall geben die realisierten Projekte auch Impulse, wo weiterer Handlungsbedarf ist. So war es zum Beispiel bei GLORIA Haus- und Gartengeräte in Witten: Eine Umfrage in der Belegschaft zum Thema Pflege, ausgewertet von den Studierenden, ergab, so Sandra Schneider, Assistentin der Geschäftsführung, ein überraschendes Bild: „Die Umfrage der Studierenden war eine Überraschung für uns: Rund 10 Prozent der Beschäftigten übernehmen bereits Pflegeaufgaben und 40 Prozent sehen einen Bedarf für die Zukunft. Darauf haben wir sofort reagiert.“

Im Unternehmen wurde eine Pflegelotsin installiert, Sandra Schneider nimmt seither regelmäßig an Pflegelotsenschulungen des Ennepe-Ruhr-Kreises teil und fungiert als Ansprechpartnerin. Die Maßnahme kommt bei Betroffenen gut an. Christiane Krychowski, Mitarbeiterin in der Produktion, sagt zum Beispiel: „Ich arbeite seit 10 Jahren halbtags bei Gloria. Inzwischen benötigt meine Mutter mehr und mehr Hilfe im Alltag. Auch mein Mann war kürzlich im Krankenhaus. Ich finde es gut, dass ich in diesen Fällen meine Arbeitszeit flexibel einteilen und Überstunden nach unkomplizierter Absprache abfeiern kann. Außerdem ist es beruhigend zu wissen, dass es in der Firma einen Ansprechpartner zum Thema Pflege gibt und man schnell Infos bekommt, wenn man sie benötigt.“

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Prävention

Silvia van Loosen, Human Resources Managerin bei B&T Exact GmbH in Gevelsberg, verweist auf einen weiteren Aspekt: „Es gibt ganz viel Care-Arbeit, die vor dem Ernstfall gemacht wird - und aus der Freizeit wird ein zweiter unbezahlter Job. Das müssen wir im Auge behalten.“

Gemeinsam mit den Studierenden haben sie zwei Flyer entwickelt – und der zweite widmet sich besonders der Frage, wann Pflege beginnt. „Nach meiner Wahrnehmung“, sagt Silvia van Loosen, „dauert es im Alltag durchaus lange, bis Angehörige sich als Pflegende sehen. Es ist nicht immer der Ernstfall. Sehr viele pflegen im Alltag schon viel eher – kaufen ein, sorgen für Unterstützung, haben regelmäßige Verpflichtungen.“ Sie sei gerade mit Blick auf diese Zielgruppe überzeugt, dass es nicht dabei bleiben kann, nur Flyer zu verteilen. Sobald wie möglich will sie daher den in der Pandemiezeit verschobenen Pflegetag im Unternehmen nachholen.

Ein wichtiges Lernfeld für die Studierenden

Monika Arntzen ist Schwerbehindertenvertretung im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, dort auch im Sozialpflegerischen Dienst und für familiale Pflege tätig. Ihr Ziel bei der Kooperation war, die Angebote des Krankenhauses noch bekannter zu machen. Die Studierenden hatten die Aufgabe, in einer Serie für die Mitarbeiterzeitschrift „Für uns“ Themen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf aufzugreifen und allgemeinverständlich darzustellen – zum Beispiel die Frage, wer dazu gehört. Monika Arntzen kennt das Thema nur zu genau: „Mit dem Satz ‚Ich geh doch nur einkaufen‘ sehen sich viele noch gar nicht als Pflegende - auch wenn sie schon viel für ihre Angehörigen tun.“

Das Beratungsangebot im Hause war natürlich Thema sowie Pflegekurse und Pflegetrainings, die das Krankenhaus, anders als vielleicht Unternehmen anderer Branchen, bereits seit Jahren anbietet. Aber auch ganz sachliche, grundlegende Informationen wurden aufbereitet, zum Beispiel Freistellungsmöglichkeiten im Rahmen der Pflegezeit und Familienpflegezeit oder gute Hilfsmittel und wie man sie bekommt.

Monika Arntzen erinnert aber auch an Lernerfahrungen der Studierenden: „Ich hatte in der Kooperation Kontakt zu unserer Pressestelle, die klare Anforderungen für Artikel in der Mitarbeiterzeitschrift haben: Nicht zu lang dürfen sie sein und „nachrichtlich“ geschrieben. Ich glaube, gerade das nachrichtliche Schreiben war ein gutes Lernfeld für die Studierenden.“

Interesse der Studierenden auch nach dem Praxismodul

Tanja Segmüller, Professorin für Alterswissenschaft, Pflegewissenschaftlerin und gelernte Krankenschwester hat vor drei Jahren die Kooperation der Hochschule für Gesundheit mit der Initiative arbeiten-pflegen-leben begonnen. Sie betont die Einzigartigkeit des interdisziplinären „Department of Community Health“ der Hochschule, dem sie angehört: „Wir als Department sind interprofessionell unterwegs: Ich bin Pflegewissenschaftlerin, die Kollegen haben andere Disziplinen – Gesundheitstechnologie, Ökonomie, Medizin, Psychologie, Stadtplanung. Wir schauen wirklich interdisziplinär auf Themen.“

Tanja Segmüller und ihr Kollegium haben im Department den Studiengang „Gesundheit und Diversity in der Arbeit“ gegründet und entwickelt. Besonders wichtig war ihnen dabei ein Teilmodul zur Lage von Menschen, die in einer Vereinbarkeitssituation sind - und ein enger Praxisbezug im Studium: „Dieser Studiengang lebt sehr von der Kooperation mit der Praxis. Die Studierenden sollen eintauchen in die wirkliche Berufswelt und nicht nur in Hörsälen lernen. Sie lernen extrem viel, wenn sie selber Projekte machen.“

Das bestätigen die Studierenden auch, wenn sie in der Abschlussbefragung am Ende des Studiums gefragt werden, was sie besonders beeindruckt hat. Einige wählen auch im Praxissemester eine Behörde oder ein Unternehmen aus den Projekten aus oder arbeiten dazu in ihren Abschlussarbeiten.

Wissen muss zirkulieren

„Es wird viel über Theorie-Praxis-Transfer gesprochen“, betont Tanja Segmüller, „ich benutze den Begriff der Wissenszirkulation: Für die Unternehmen ist es toll, wenn Studierende kommen und neue Programme vorstellen oder aktuelles Wissen mitbringen. Die Unternehmen wiederum können konkret sagen, was sie gerade im Alltag beschäftigt, wo besondere Herausforderungen sind. So zirkuliert Wissen zwischen den verschiedenen Ebenen, und alle Beteiligten haben einen Mehrwert.“

Folgewirkungen auf Landesebene

Seit dem 1. Februar 2022 fördert das Land NRW das „Servicezentrum Pflegevereinbarkeit“ NRW, angesiedelt beim Kuratorium Deutsche Altershilfe. Das Thema der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf soll damit auf Landesebene, auf regionaler und kommunaler Ebene verankert werden. Ähnlich wie in Hessen sollen Unternehmen eine Charta unterschreiben können und sich damit selbst verpflichten.

Die Hochschule für Gesundheit ist dabei Kooperationspartnerin. Tanja Segmüller war es dabei von Anfang an wichtig, die Pionierrolle des Ennepe-Ruhr-Kreises deutlich zu machen und diese Expertise einzubringen: „Frau Beermann und die Kampagnenbeteiligten haben hier im Ennepe-Ruhr-Kreis als Vorreiter ganz viel bewegt. Für viele andere war es ein blinder Fleck. Darum ist es wichtig, dass diejenigen mit der größten Expertise von Anfang an beim neuen Servicezentrum Pflegevereinbarkeit des Landes dabei sind.“

Wenn Sie sich beteiligen möchten, melden Sie sich bitte zeitnah, damit die Studierenden im Oktober mit Ihnen Kontakt aufnehmen können, um bis etwa Anfang Januar mit Ihnen gemeinsam das jeweilige Projekt umzusetzen.

Zur Abschlusspräsentation der Ergebnisse werden alle beteiligten Unternehmen und Behörden eingeladen, um den Austausch guter Ideen und Vernetzung zu fördern.

Wer interessiert ist, kann sich bis zum 07.10.2024 bei Christa Beermann, c.beermann(at)en-kreis.de melden. 4-6 Unternehmen haben die Möglichkeit zur Teilnahme. Die Auswahl erfolgt nach einem telefonischen Gespräch.