Eine Perspektive allein reicht nicht
10 Jahre Netzwerk W im Ennepe-Ruhr-Kreis: Nur Kooperation bringt Vereinbarkeit voran

2007 hat das Netzwerk W(iedereinstieg) die Arbeit im Ennepe-Ruhr-Kreis begonnen, nach 10 Jahren ist noch lange nicht Schluss, denn die Aufgaben bleiben: Vereinbarkeit verbessern, Potenziale fördern, Akteur/-innen zusammenbringen. Nach wie vor ist die Lage vieler Alleinerziehender prekär, nach wie vor ist es schwer, an die so genannte „stille Reserve“ heranzukommen, an Frauen, die weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe beziehen, aber Potenziale für den Arbeitsmarkt haben. Und auch die Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sind kein fernes Zukunftsszenario, sondern heute schon harte Realität für viele Frauen und auch Männer. All diese Themen lassen sich besser angehen, wenn jede/r nicht nur auf den eigenen Auftrag fokussiert ist. Kooperationen, Blickwechsel sind wichtig!

2007 war der Ennepe-Ruhr-Kreis eine von 16 Modellregionen in NRW, seitdem werden jährliche Aktivitäten gefördert vom Land NRW. Bedingung: In einem Netzwerk W(iedereinstieg) müssen mindestens Mitarbeiter/-innen aus den Arbeitsagenturen, den Jobcentern, den Kommunen sowie Weiterbildungs- und Beratungseinrichtungen zusammenarbeiten. Weitere Kooperationspartner/-innen kann jede Region nach eigenem Gutdünken hinzugewinnen – und auch eigene Akzente setzen bei den mittel- und kurzfristigen Projekten. So haben zwar alle Regionen zum Beispiel die Integration von Alleinerziehenden in den Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Kinderbetreuung im Blick, aber es gibt auch regionale Glanzlichter. Im Ennepe-Ruhr-Kreis sind es die 2012 begonnene Kampagne arbeiten-pflegen-leben und der inzwischen zum vierten Mal herausgegebene Familienkalender.

…und das Bohren dicker Bretter

Trotz vieler Verbesserungen und Rechtsanspruch: Gerade im EN-Kreis fehlen Plätze für Kinder unter drei Jahren, deren Mütter (noch) nicht erwerbstätig sind. Da es zu wenige Plätze gibt, haben – trotz Rechtsanspruch - diejenigen Vorrang, die bereits erwerbstätig sind. Wer auf dem Weg zu einem (neuen) Job ist und zum Beispiel einen Ausbildungsplatz sucht, muss nachweisen, dass die Kinderbetreuung geregelt ist - unter diesen Rahmenbedingungen unmöglich. Außerdem fehlen Angebote für Kinderbetreuung in so genannten „Randzeiten“: Wer im Handel arbeitet oder in anderen Schichtdiensten, kann eben nicht immer um 16 Uhr das Kind aus der Kita abholen.

Und auch für die besondere Situation von Alleinerziehenden muss weiter sensibilisiert werden. 2016 gab es im gesamten EN-Kreis 936 arbeitslose Alleinerziehende, davon 860 Frauen und 76 Männer – über 90 Prozent von ihnen bezogen ALG II. Viele Alleinerziehende wollen arbeiten – aber nicht um jeden Preis, sie wollen auch gute Mütter sein. Ihr Risiko erwerbslos zu werden und zu bleiben, ist hoch, sie können nicht unbegrenzt flexibel sein, sie brauchen auch Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber/-innen bei der Arbeitsorganisation und bei den Arbeitszeiten.

Aus verschiedenen Perspektiven, an ungewöhnlichen Orten mit kreativen Medien

Austausch, Sensibilisierung und Zusammenarbeit: Im Netzwerk W investieren die beteiligten Akteurinnen und Akteure (und ihre jeweiligen Arbeitgeber/-innen) Zeit und Ideen, um ihre Zielgruppen besser zu erreichen. Ein Beispiel ist der „Familienkalender“: 12.000 Exemplare werden jedes Jahr neu gedruckt und verteilt. In diesem Kalender ist Platz für die privaten Termine einer Familie, daneben finden sich eingedruckte Tipps und Informationen rund um das Leben und Arbeiten mit Kindern in den Städten des Ennepe-Ruhr-Kreises. Die Kalender sind „Wegweiser“ durch Informationen und Angebote und erreichen Eltern und Erzieher/-innen in Kitas, Neubürger-/innen, Frauen in interkulturelle Müttercafés, Ratsuchende in Jugendämtern, Teilnehmende in Qualifizierungskursen und Kund/-innen von Jobcenter und Arbeitsagentur.

Handeln und Intervenieren

Das Netzwerk W ermöglicht mit seinen Gemeinschaftsprojekten Ansprachen und Aktivitäten, die im Alltagsgeschäft der einzelnen Institutionen nicht unbedingt zum Kerngeschäft gehören. So kann die Agentur für Arbeit auch Angebote für Wiedereinsteigerinnen (Frauen und Männer) ohne Leistungsbezug anbieten, während das Jobcenter nur Angebote für erwerbsfähige Leistungsberechtigte anbieten darf.
Wo kann sich Vertrauen - zwischen Jobcenter und Jugendamt, Pflegeberatung oder Kammern - besser aufbauen als in einem Netzwerk, in dem über Jahre mit kleinen Schritten an Veränderungen und konkreten Projekten gemeinsam gearbeitet wird? So lassen sich scheinbare Gegensätze überwinden - zum Beispiel „Kindeswohl contra Arbeitsmarktintegration“. Ein weiteres Beispiel für die Erweiterung von Einzelperspektiven ist das Projekt „Neue Wege“: Jobcenter, Arbeitsagentur und Jugendhilfe nutzen Familienzentren und Kitas, um dort Frauen frühzeitig bei einem gelingenden (Wieder)Einstieg in den Beruf zu unterstützen.

NETZWERKT!

Alle Beispiele zeigen, dass die Hauptaufgabe des Netzwerk W exakt in seinem Namen verankert ist: Netzwerken! Das heißt: Angebote und Informationen bündeln und als Lotsen/-innen für Multiplikator/-innen und (ratsuchende) Frauen aktiv werden. Um dies für die Kernzielgruppen besser erreichen zu können, kooperiert das Netzwerk W intensiv mit dem Bündnis Teilzeitausbildung Ennepe-Ruhr, das die Möglichkeit der Teilzeitausbildung in der Region bekannt machen und die Zahl dieser Ausbildungsplätze erhöhen möchte. Teilzeitausbildung ist ein wichtiges Instrument, um Ausbildung und Familie (Kinder, Pflege) unter einen Hut zu bekommen.

Politische Lobby

Das Netzwerk W versteht sich außerdem als politische Lobby für eine Aufwertung der Sorge-Arbeit: Sorge für Kinder oder Pflege Älterer sind keine rein privaten Familienangelegenheiten, sondern gesellschaftliche Aufgaben. So wie auch die Folgen schlechter Vereinbarkeit nicht nur privater Natur sind: Frauen, die in geringfügigen und schlecht bezahlten Jobs arbeiten, haben weniger Einkommen, brauchen trotz Job oft weiter staatliche Unterstützung, bekommen im Alter wenig Rente und können von Karrierechancen nur träumen. In diesem Sinne zielt die Arbeit des Netzwerk W auch auf eine Veränderung von Werten: Solange bezahlte Arbeit so viel höher geschätzt wird als Fürsorge, können weder Frauen noch Männer Familienleben, Kindererziehung und beruflichen Erfolg gut vereinbaren.